Netzpolitischer Wochenrückblick KW 23: Polizei in allen Wolken und Glaskugeln für die Männer in Grün

Die letzten sieben Tage beschäftigten uns neue Ideen von Seehofer und Co. zur Überwachung im Internet und die Brüsseler Schlacht um das Tracking von Nutzerinnen und Nutzern im Internet. Einen kritischen Blick warfen wir zudem auf den äußerst lahmen Breitband-Ausbau in Deutschland.

Baby-Panda
Hier im Bild: Demonstration der neuen Initiative „Baby-Pandas gegen Internetzensur“ CC-BY 2.0 moviecoco568

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Unser lieber Freund Horst Seehofer beschäftigt uns auch diese Woche wieder. Gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen schlug der Bundesinnenminister in einem Brief der EU-Kommission umfassende gesetzliche Maßnahmen zur Internetzensur vor. Einfach mal so. Zunächst soll es dabei nur um „Terrorpropaganda“ gehen, eine Ausweitung ist aber bereits angedacht. Facebook, Twitter & Co sollen damit künftig von den Behörden beanstandete Inhalte innerhalb einer Stunde löschen müssen. Dieser Vorstoß gefährdet jedoch die Meinungsfreiheit – und das Providerprivileg.

Deutlich verschärfen könnten die EU-Mitgliedsstaaten indes die Möglichkeiten zu polizeilichen Ermittlungen in Cloud-Daten. Ein neuer Vorschlag an die EU-Justizminister sieht erstmals auch den direkten polizeilichen Zugriff auf die Daten in Cloud-Speichern, aber auch auf Internet-Telefonie, Messenger, E-Mail-Dienste und Online-Marktplätze auf europäischen Servern vor.

Glaskugel für die Männer in Grün

In Deutschland drängt der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, erneut auf die Wiedereinführung der verpflichtenden Vorratsdatenspeicherung durch Telekom-Anbieter. Dabei schreckt Münch auch nicht vor dem Nennen falscher Zahlen zurück, wie ein Vergleich seiner Aussagen mit der Statistik zeigt. Ebenfalls auf Einfluss auf die öffentliche Meinung bedacht ist inzwischen das Militär: Die Bundeswehr forscht mit neuen Methoden der „Meinungs- und Stimmungslagen der Bevölkerung“ nach – die Männer in Grün setzen für ihre Glaskugel-Übung die angeblich künstlich intelligente Software IBM Watson ein.

Der fünften Jahrestag der ersten Enthüllungen von NSA-Whistleblower Edward Snowden war für unsere Autorin Constanze Kurz der Anlass für einen Abstecher in das Genre der Science Fiction: Was wäre, wenn der Skandal um Geheimdienstüberwachung echte Konsequenzen gehabt hätte? Das fantastische Stück trägt dann auch die Wörtchen „Merkels Rücktritt“ im Titel.

Verlage vs. Nutzer

Die Schlacht um die ePrivacy-Reform erreicht dieser Tage ihren Höhepunkt. Der derzeit vorgeschlagene Gesetzestext erlaubt es Nutzerinnen und Nutzern, selbst zu entscheiden, ob andere ihr Surfverhalten im Internet aufzeichnen dürfen. Dagegen laufen vor allem die Verlage Sturm, denn bisher verdienen sie mit personalisierter Werbung viel Geld. (Axel-Springer-Verlagschef Matthias Döpfner bezeichnete ePrivacy diese Woche als „Wahnsinn“.) Ein Bericht der NGO Corporate Europe Observatory macht deutlich, wie hart das Lobbying gegen die Reform läuft. Das fruchtete: Deutschland vertrat am Freitag in Rat industrienahe Positionen. Die Verlage halten an ihrem überholten Geschäftsmodell fest und merken nicht einmal, welchen Schaden sie damit anrichten, schreibt dazu unser Autor Ingo Dachwitz.

Für Aufsehen sorgte diese Woche ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Das Gericht entschied, dass Betreiber von Facebookseiten die Verantwortung für den Umgang des Konzerns mit den Daten von Nutzerinnen und Nutzern nicht vollständig abwälzen können. Das sorgte für Unruhe unter vielen Seitenbetreibern: Einige befürchten, in Zukunft für das Verhalten Facebooks im Umgang mit den Daten von Nutzenden zur Verantwortung gezogen werden zu können. Das ist wohl etwas vorschnell, glauben wir: Erstmal ist Facebook selbst in der Pflicht, offene Fragen über das Betreiben von Seiten auf seiner Plattform zu klären – den Rest klärt das Bundesverwaltungsgericht. Dass Facebook dieser Verantwortung nicht gerecht wird, zeigt ein anderer Fall aus dieser Woche. Das Unternehmen musste einräumen, dass im Mai durch einen Software-Fehler die Privatsphäre-Einstellungen von Millionen von Nutzerinnen und Nutzern geändert wurden – ohne ihr Wissen.

Auch die DSGVO war diese Woche wieder Thema: Zahlreiche Unternehmen haben in den letzten Wochen ihre Datenschutzregeln angepasst, um der Grundverordnung zu entsprechen. Einige der Änderungen sind eigenartig, andere rechtlich fragwürdig. Wir zeigen Beispielfälle, die uns gemeldet wurden.

Die rechte Regierung in Österreich veranstaltet dieser Tage eine Groß-Veranstaltung zur Zukunft der Medien, die Medienenquete. Die Regierung in Wien hatte bereits im Vorfeld ihren Wunsch deutlich gemacht, den öffentlich-rechtlichen Sender ORF stärker unter ihre Kontrolle zu stellen. Dagegen formiert sich allerdings der Widerstand der Zivilgesellschaft. Deren Forderungen zur Zukunft des Rundfunks formulieren sie durchaus mit Blick über die Grenzen Österreichs hinaus. Unser Autor Leonhard Dobusch gibt indes Antworten auf die Frage, wie öffentlich-rechtliche Medien die Herstellung digitaler Öffentlichkeit als Chance und Aufgabe begreifen können.

Deutschland lahmt

Sorgen macht uns auch diese Woche die mangelhafte digitale Infrastruktur Deutschlands. Das Land werde den Sprung in die Gigabit-Gesellschaft wohl nicht rechtzeitig schaffen, urteilte der Europäische Rechnungshof. Mängel bei der öffentlichen Planung, Wettbewerbsprobleme und der Einsatz der nicht wirklich zukunftsfitten Brückentechnologie Vectoring sorgen dafür, dass Deutschland nicht mehr lange mithalten kann. Warum diskutieren darüber eigentlich nicht mal die Polit-Talkshows, statt die x-te Debatte über „den Islam“ vom Zaun zu brechen?

Netzthemen durchdringen inzwischen fast alle gesellschaftlichen Debatten. Das wird an den Themen deutlich, die uns außerdem beschäftigt haben: Ein Sammelband des Kompetenzzentrum Öffentliche IT von Fraunhofer Fokus zeigt auf, wie Veränderungsprozesse von Staatlichkeit und Öffentlichkeit im Kontext der Algorithmisierung passieren und wie Automatisierung von Entscheidungsverfahren und Handlungsvollzügen in Politik und Gesellschaft geschieht. Netzthemen stehen auch im Fokus einer Konferenz zur Entwicklungspolitik nächste Woche in Berlin. Und eine Dokumentation im deutsch-französischen Kultursender ARTE beleuchtet ein unterschätztes Genre der Musikhistorie: die Computerspielmusik.

Wir wünschen ein schönes Wochenende!

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